Statistisch betrachtet nehmen neben Gefäßerkrankungen insbesondere auch Tumorerkrankungen in der Gesellschaft einen großen Platz ein. Wird eine derartige Diagnose gestellt, ist das wie ein Hammerschlag, der einen Menschen und oft auch die Familie trifft. Hilflosigkeit und der Fall in ein tiefes schwarzes Loch sind meistens die ersten Reaktionen. Da ich diese Dinge über Jahrzehnte immer wieder erlebt habe, sowohl an der Uni, aber auch in unserer Praxis, und zuletzt in der eigenen Familie, habe ich dieses Thema bevorzugt gewählt.
Chirurgische Therapien, Chemotherapien und unterschiedliche Bestrahlungsformen können viel erreichen. Erst langsam wird begriffen, dass auch Sport eine zentrale Rolle einnehmen kann, sowohl zur Krebsvermeidung, als auch bei Heilungsprozessen, als auch zum Schutz vor einem Rückfall nach erfolgreicher Therapie. Sport stärkt das Immunsystem, kann aber auch die Wirksamkeit von Chemotherapien steigern, u.v.a.m.
Dankbar bin ich dafür, dass ich Herrn Haselhorst, als Sportwissenschaftler auf Tumorerkrankungen spezialisiert und tätig am Therapiezentrum Heidelberg, bewegen konnte, seine Expertise in einem Beitrag für unsere Page zur Verfügung zu stellen.
Nachfolgend nun der Beitrag von Herrn Haselhorst.
Bedeutung der Bewegungs- und Trainingstherapie in der Onkologie
Die Rolle von Bewegung und Trainingstherapie in der Onkologie gewinnt zunehmend an Bedeutung. Stellen Sie sich vor, Sie könnten das Risiko, an bestimmten Krebsarten zu erkranken, erheblich reduzieren – nur durch regelmäßige Bewegung. Die Datenlage zeigt uns heute, dass körperlich aktive Menschen seltener an Brust-, Darm- und Prostatakrebs erkranken. Der erste Schritt in ein aktiveres Leben kann also ein entscheidender Schritt in Richtung Prävention solcher Erkrankungen sein. Aber auch im Fall einer Diagnose kann Bewegung sowie eine gezielte Trainingstherapie ein nicht zu unterschätzendes Mittel sein, um die Nebenwirkungen der Behandlung zu lindern und die Lebensqualität davor sowie danach zu verbessern. Nicht nur dass: Patienten, die aktiv bleiben, haben bessere Chancen, ihre Chemotherapie ohne Unterbrechungen durchzuhalten. Die regelmäßige körperliche Aktivität erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Therapie wie geplant durchgeführt werden kann, was entscheidend für den Behandlungserfolg sein kann, wie einzelne Studien nahelegen. Doch
welche Nebenwirkungen lassen sich im Detail beeinflussen? Laut Guidelines des American College of Sports Medicine (ACSM) aus dem Jahr 2019 kann regelmäßige Bewegung die Nebenwirkungen einer Krebserkrankung und deren Therapie signifikant verbessern. Dazu zählen die krebsbedingte Fatigue, psychische Belastungen wie Angst und Depression, die Lebensqualität, körperliche Funktion, einschließlich Muskelkraft und Kondition. Besonders Krafttraining, zu welchem das ACSM 2 x wöchentlich rät, kann u.A. den Verlust an Knochendichte verlangsamen, der durch einige Krebsbehandlungen verursacht wird.
Genauer hingeschaut: Fatigue & sekundäres Lymphödem
Tumorassoziierte Fatigue
Eine extreme Müdigkeit, die durch den Krebs und dessen Behandlung verursacht wird und auch durch Schlaf nicht reversibel ist, ist eine der häufigsten und belastendsten Nebenwirkungen für Krebspatienten. Bewegung hat sich als wirksames Mittel zur Linderung dieser Fatigue erwiesen. Ein systematischer Review und eine Metaanalyse von Tomlinson et al. (2014) bestätigen, dass körperliche Aktivität eine signifikante Verbesserung der Fatigue-Symptome bei Krebspatienten bewirken kann. Mehrere Studien belegen, dass sowohl Ausdauer- als auch Krafttraining die Symptome der Fatigue signifikant reduzieren können (Cramp & Byron-Daniel, 2012) und hierbei wirksamer als medikamentöse oder psychotherapeutische Interventionen sind (Mustian et al., 2012).
Sekundäres Lymphödem
Eine Schwellung, die durch die Entfernung von Lymphknoten oder Bestrahlung verursacht wird, ist eine weitere häufige Nebenwirkung der Krebsbehandlung. Bewegung, insbesondere spezifische Lymphdrainage-Übungen, kann dazu beitragen, die Schwellung zu reduzieren und die Funktionalität der betroffenen Gliedmaßen zu verbessern (Stuiver et al., 2015). Eine Studie von McNeely et al. (2010) zeigte, dass kontrolliertes Krafttraining das Lymphödemrisiko nicht erhöht und sogar positive Effekte auf die Symptome haben kann.
Nebenwirkungen und Sonst?
Chemotherapie-Compliance & rezidivfreies Überleben
Neben der Reduktion von Nebenwirkungen hat regelmäßige körperliche Aktivität auch positive Effekte auf die Chemotherapie-Compliance. Die Compliance, also das Applizieren der berechneten Medikamentendosis, ist entscheidend für den Therapieerfolg. Eine höhere Compliance ist mit besseren Behandlungsergebnissen verbunden. Eine Studie von Courneya et al. (2007) fand heraus, dass Krebspatienten, die regelmäßig trainierten, eher in der Lage waren, ihre Chemotherapiezyklen ohne Unterbrechungen abzuschließen.
Darüber hinaus gibt es Hinweise aus Beobachtungsstudien, dass körperliche Aktivität das rezidivfreie Überleben, also die Zeit, in der der Patient ohne Rückfall lebt, verlängern kann. Holmes et al. (2005) zeigten, dass Brustkrebspatientinnen, die regelmäßig körperlich aktiv waren, ein signifikant geringeres Risiko für einen Rückfall hatten. Diese Ergebnisse legen nahe, dass Bewegung nicht nur das unmittelbare Wohlbefinden verbessern, sondern auch langfristig das Überleben beeinflussen kann.
Viele Hürden bis ans Ziel
Trotz der klaren Vorteile von Bewegung und Trainingstherapie in der Onkologie ist der Zugang und das Wissen über bereits bestehende Angebote für viele Patienten immer noch eingeschränkt. Es besteht ein erheblicher Bedarf an gesundheitspolitischen Änderungen, um sicherzustellen, dass alle Krebspatienten Zugang zu Bewegungsprogrammen haben oder zumindest zu diesem wichtigen Thema beraten werden. Dies könnte durch die Integration von Beratungsangeboten in der ärztlichen Praxis und nicht zuletzt durch die Finanzierung solcher Programme seitens der Krankenkassen erreicht werden (Rock et al., 2012). Es ist entscheidend, dass Bewegung- und Trainingstherapie zukünftig als wesentlicher Bestandteil der Krebsbehandlung anerkannt werden und dass die notwendigen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, um diese Programme für alle Patienten zugänglich zu machen. Nur durch solche Maßnahmen kann sichergestellt werden, dass die positiven Effekte der Bewegungstherapie voll ausgeschöpft werden und dass möglichst alle Krebspatienten die bestmögliche Unterstützung erhalten.
Fazit
Bewegung und Trainingstherapie spielen eine entscheidende Rolle in der Onkologie. Sie können nicht nur die Lebensqualität und das Wohlbefinden von Krebspatienten verbessern, sondern auch spezifische Nebenwirkungen wie tumorassoziierte Fatigue und sekundäres Lymphödem lindern. Darüber hinaus können sie die Chemotherapie-Compliance und das rezidivfreie Überleben positiv beeinflussen. Um diese Vorteile für alle Patienten zugänglich zu machen, sind jedoch gesundheitspolitische Änderungen erforderlich. Bewegung sollte als wesentlicher Bestandteil der Therapie betrachtet werden. Individuelle Trainingstherapiepläne, die auf den Gesundheitszustand und die Bedürfnisse der Patienten zugeschnitten sind, können dabei helfen, die vielfältigen Vorteile voll auszuschöpfen. Es ist an der Zeit, Bewegung als integralen Bestandteil der Krebsbehandlung anzuerkennen und zu leben.